Grundsatzpositionen

Die Grundsatzpositionen entstanden auf unseren Arbeitstreffen und Vollversammlungen:

„Die Kritischen Polizisten sind so überflüssig wie ein Kropf!“

Der Meinung des ehemaligen Bayerischen Innenministers Lang konnten wir uns natürlich nicht anschließen. Positive Reaktionen auf unsere Gründungserklärung und die entfachten Diskussionen zur Polizei bestätigten die Notwendigkeit von berufsinterner Kritik.

Wir setzten uns u.a. bei gemeinsamen Treffen und Arbeitstagungen mit unserem Berufsbild und der Abhängigkeit zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen auseinander. Hierbei wurden grundlegende Positionen der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) erarbeitet.

Es gibt ausführlichere Informationen, die bei Bedarf angefordert werden können. Eine weitere Quelle ist unsere Zeitschrift UNBEQUEM.

Selbstverständnis und Grenzen unserer Arbeit

Als PolizistInnen arbeiten wir in einem Dienstleistungsunternehmen, das in erster Linie für unsere MitbürgerInnen da zu sein hat. Daraus ergibt sich, dass wir Eingriffsbefugnisse in die Rechte der BürgerInnen sehr sensibel handhaben und nicht als Arbeitserleichterung betrachten. Diese Befugnisse sind auch immer ein Eingriff in unsere Freiheit, weil wir in erster Linie BürgerInnen dieses Landes sind.

Die BAG hat sich nie Illusionen darüber gemacht, in kurzer Zeit positive Veränderungen im Polizeiapparat bewirken zu können. Veränderungen in und an der Institution Polizei sind nur gemeinsam mit den BürgerInnen zu erreichen. Deshalb möchten wir zusammen mit kritischen und liberalen Kräften zur Erneuerung der Polizei beitragen. Dabei lassen wir keine Zweifel aufkommen, dass bei aller Kritik in dieser Gesellschaft eine Polizei erforderlich ist.

Die BAG ist eine partei- und gewerkschaftlich unabhängige Gruppe und versteht sich als Teil der Bürgerrechtsbewegung. Sie will eine Anlaufstelle für Kolleginnen und Kollegen sein, die vergleichbare Ansprüche an ein neues Berufsbild haben. Wir möchten dazu motivieren, Kritik auch innerhalb der Polizei zu äußern. Auch wenn die BAG in der Polizei nicht überall Zuspruch findet, muss sich die Institution Polizei darauf einrichten, dass wir als „Stachel im Fleisch“ notwendig sind.

Innere Demokratie

Demokratie lebt von Beteiligung, Einmischung und Widerspruch, auch bei der Polizei. Dieses Engagement darf nicht durch autoritäre Führungsstile behindert werden, denn dadurch wird innere Demokratie unmöglich gemacht. Sie muß innerhalb der Polizei selbst zugelassen und umgesetzt werden. Folglich müssen durch erweiterte Mitspracherechte autoritäre Führungsstile aufgebrochen werden. Interne Führungs- und Organisationsstrukturen sind in Frage zu stellen. Dazu gehören das Beurteilungs- und Beförderungs-(un)wesen und die an militärische Traditionen erinnernden Dienstgrade und -gliederungen. Durch derartige Strukturen wird innere Demokratie behindert. Polizeiinterne Kritik und Remonstrationspflicht müssen zum Polizeialltag gehören und gefördert werden. Sie dürfen nicht unterdrückt werden.

Widerspruchspflicht (Remonstration)

Durch die Beamtengesetze werden Polizistinnen und Polizisten verpflichtet, dienstliche Anordnungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.

Trotzdem zeigen die Erfahrungen aus der Praxis, dass nur in ganz wenigen Fällen diese Verpflichtung wahrgenommen wird. Zahlreiche Vorfälle hätten in der Vergangenheit dazu Anlaß gegeben: z.B. Hamburger Kessel, Celler Loch, Massenfestnahmen im KOMM Nürnberg, polizeiliches Einschreiten während des Weltwirtschaftsgipfels in München.

Die persönliche Verantwortung darf uns PolizistInnen nicht abgenommen werden. Dies muss auch bei neuen Polizeigesetzen beachtet werden. Wir dürfen nicht aus der Remonstrationspflicht entlassen werden.

Darüber hinaus fordern wir eine Erweiterung der Remonstrationspflicht zum Recht, in existentiellen Gewissensfragen Diensthandlungen abzulehnen, ohne dabei gegen Dienstpflichten zu verstoßen!

Zusammenarbeit mit Geheimdiensten

Wir betrachten mit Sorge die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten. Durch die Polizeibriefe der Alliierten sollte auf Grundlage der Erfahrungen mit dem deutschen Faschismus die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten strikt getrennt werden. Dieser Verfassungsgrundsatz wurde seit den 50er Jahren nach und nach aufgehoben. Die Machenschaften der ehemaligen DDR und ihrer STASI bestätigen den Wesensgehalt der Polizeibriefe. Das Trennungsgebot wurde durch die Legalisierung nachrichtendienstlicher Mittel für die Polizei und einem Informationsaustausch mit den Geheimdiensten bis zur Unkenntlichkeit durchgeführt.

Wir lehnen eine Zusammenarbeit mit diesen Behörden ab, da sie zu einer undemokratischen, unkontrollierbaren Machtkonzentration führen und fordern darüber hinaus eine Auflösung der Geheimdienste, insbesondere die Auflösung der Verfassungschutzämter von Bund und Ländern, da eine umfassende Kontrolle von Geheimdiensten nicht möglich ist. Daraus ergibt sich, dass Geheimdienste nicht demokratie- und bürgerrechtsverträglich sind.

Kontrolle der Polizei

Die Polizei hat einen Anspruch darauf, kontrolliert zu werden. Dieses ergibt sich u.a. aus dem Artikel 20 des Grundgesetzes. Unsere Demokratie baut darauf auf, dass diese Kontrolle, wenn auch mittelbar, durch die BürgerInnen erfolgt.

Neue Aufgabenzuschreibungen für die Polizei sowie die jüngsten organisatorischen und technischen Entwicklungen schließen jedoch eine effektive Kontrolle weitgehend aus. In einem demokratischen und liberalen Rechtsstaat führt kein Weg an dem Reformziel einer demokratischen „Bürger-Polizei“ vorbei.

Wie schwer dieser Teil der Verwaltung kontrollierbar ist, belegen z.B. die Jahresberichte der Datenschutzbeauftragten oder Berichterstattungen über die Praxis von Sondereinheiten sowie Berichte über illegale Polizeigewalt. Polizeiliche Kontrolle wird auch durch das föderale Prinzip gewährleistet. Die zentralen Bundespolizeien, Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt, bauen mehr und mehr ihre Befugnisse aus und erschweren eine umfassende Kontrolle zu Lasten bürgerlicher Freiheit.

Wir fordern seit langem die Einführung von Namensschildern. Unsere überlegungen gehen jedoch weiter:

  1. Erweiterung der vorhandenen Kontrollinstanzen,
  2. uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht der Bürger,
  3. Einrichtung von unabhängigen Polizeikontrollbehörden, die nur dem Parlament gegenüber verantwortlich sind.

Polizeigeschichte

Die Polizei übernahm in dem diktatorischen NS-Staat eine aktive Rolle, obwohl sie durch einen Eid der Weimarer Verfassung verpflichtet war.

Neben der Nichtaufarbeitung und teilweisen Rechtfertigung deutscher Geschichte stellen wir fest, dass auch in der heutigen Polizei die Beteiligung an den Massenmorden und dem Unterdrückungsregime geleugnet wird. Sie ist unfähig zu reflektieren, ihren Teil der Schuld anzuerkennen und in Verantwortung für die Zukunft zu handeln.

Erschreckend ist jedoch, dass die Polizei der Bundesrepublik unter anderen von Polizisten mitbegründet wurde, die als Kriegsverbrecher schwere Schuld auf sich geladen hatten. Mit ihnen fanden sich Polizisten in verantwortlichen Positionen wieder, die sich bereits durch hohe Führungssaufgaben im NS-Staat profiliert hatten. Trotz der Vorgaben der westalliierten Reformpolitik fand eine Reorganisation und ein Ausbau der Polizei unter deutscher Verantwortung statt, mit der eine Rückkehr zum obrigkeitsstaatlichen Polizeialltag mit einer zentralisierten und militarisierten Organisationsstruktur vollzogen wurde. Darüber hinaus fiel die Begrenzung polizeilicher Zuständigkeiten und Befugnisse, kasernierte Sonderpolizeien wurden wieder gegründet und die Polizei nicht nur waffentechnisch wieder aufgerüstet.

Diese Vergangenheit und Entwicklungen begleiteten nicht nur die Neugründung der Polizei nach 1945, sie wirken bis heute nach.

Aus- und Fortbildung der Polizei

Unsere Vergangenheit und die Erfahrungen aus der ehemaligen DDR haben gezeigt, welche Auswirkungen ein perfekter und allgegenwärtiger Sicherheitsstaat hat. Diese Entwicklungen innerhalb der Polizei und die Bedeutung der Exekutive in der heutigen Gesellschaft machen deutlich, welche Anforderungen an die Polizei zu stellen sind, um anti-demokratischen Gesellschaftsentwicklungen entgegenzuwirken und sich nicht durch sie vereinnahmen zu lassen. In der Polizei werden Menschen benötigt, die mit der notwendigen Sensibilität und Kritik diesen Entwicklungen entgegensteuern. Die Anwendung von hoheitlicher Gewalt erfordert daher in diesem Sinne verantwortungsvolle PolizeibeamtInnen, die unter veränderten Bedingungen einzustellen und auszubilden sind. Es gilt, PolizeibeamtInnen in die Lage zu versetzen, dass sie die Bedingungen der immer schwieriger durchschaubaren Veränderungen und Prozesse gesamtgesellschaftlicher Strukturen hinterfragen können. Diesem Anspruch wurde die Aus- und Fortbildung zu PolizeibeamtInnen bis heute nicht gerecht; angedachte Konzepte wie z.B. Demokratisierung der Ausbildungsinhalte und -formen wurden nicht umgesetzt; demgegenüber stehen immer noch Standesbewußtsein und die Vermittlung einfacher Problemlösungen. Die Polizeischulen weisen meistens autoritäre Strukturen auf und sind systematisch gegen Einflüsse und Kontrolle durch die Öffentlichkeit abgeschottet.

PolizistInnen sind in der Lage, Gesetzestexte und die dazugehörigen Definitionen im Schlaf herunterzubeten, doch die Schwierigkeiten beginnen beim Umgang mit Menschen in Konfliktsituationen. Hier gilt es anzusetzen. Der psychologische Ausbildungsbereich ist ebenso auszuweiten wie der soziologische, weil dadurch nicht nur Konflikte vermeidbar sind sondern auch die soziale Kompetenz erhöht wird.

Polizei und Großtechnologie

Die Abhängigkeit der Polizei von politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit Großtechnologien ist problematisch. Zum einen gilt das Primat der Politik, zum anderen stellt sich der „Schutz großtechnologischer Anlagen“ durch die Polizei als der Schutz von Privatrechten einzelner (hier der Betreibergesellschaften) dar. Er steht oft im Widerspruch zu den Interessen einer breiten öffentlichkeit, deren Grundrechte bei der Durchsetzung und Aufrechterhaltung dieser Anlagen zur Disposition stehen. Oft wurde durch die Politik das staatliche Gewaltmonopol mißbraucht, um fragwürdige Großtechnologien gegen den Willen eines großen Teils der Bevölkerung mit Hilfe der Polizei durchzusetzen. Die Polizei wird dadurch zum Erfüllungsgehilfen der Interessen privater Unternehmen, deren Interessen zu Staatszielen erhoben werden. Die Gefährlichkeit vieler großtechnologischer Anlagen, z.B. der Atomanlagen, führen zu einer Veränderung von Rechts- und Sicherheitsbelangen, die Einfluß auf die Freiheitsrechte der Bürger haben und sie einschränken. Durch Demonstrationen an „Bauzäunen“, Aktionen gegen Transporte von Nuklearstoffen, das Betreten und Besichtigen bestimmter Anlagen entwickelt sich eine „Gefahr für den Rechtsstaat“. Die Polizei steht hier in einer besonderen Verantwortung gegenüber den Bürgern. Diese Verantwortung bedeutet für uns, polizeiliche Einsätze zu hinterfragen, ggf. von der Remonstrationspflicht Gebrauch zu machen und sich bei Gewissenskonflikten an den Einsätzen nicht zu beteiligen. PolizistInnen müssen sich aktiv an der politischen Auseinandersetzung z.B. in Bürgerinitiativen, politischen Parteien und Gewerkschaften beteiligen, um die Interessenkonflikte zu erkennen.

Feindbilder bei der Polizei?

Wenn von Ratten und Kohlensäcken die Rede ist…

Die Kritischen PolizistInnen haben die Wirkung von Feindbildmechanismen innerhalb der Polizei des öfteren thematisiert. Wir haben anhand konkreter Fälle, die ähnlich gelagert immer wieder vorkommen, den Finger in die offene Wunde gelegt und damit ein Tabu gebrochen.

„SEK-Beamte schlugen zwei junge Männer brutal zusammen“, „Polizei prügelt“, „Immer häufiger werden Fotojournalisten zu Opfer“, „Knüppelorgien bestätigt“, „Mißhandlung in der Polizeizelle“.

Solche und ähnliche Pressemeldungen erregen immer wieder die öffentlichkeit. Nur selten kommt es aber zu einer konstruktiven Aufarbeitung derartiger Vorfälle – letztlich, weil nicht sein kann, was nicht sein darf! Schnell berufen sich offizielle Stellen auf laufende Ermittlungsverfahren, wenn sie „Kein Kommentar“ abgeben.

Das Leben in einer Gefahrengemeinschaft wie der Polizei bringt es mit sich, dass es häufig zum „Schulterschluß“ kommt, wenn Kritik von außen als Bedrohung erlebt wird (vgl. den Abschnitt Kontrolle der Polizei). Rechtsbrecher ist immer der andere, niemals der Polizeibeamte! Schließlich bekamen wir schon in der Ausbildung beigebracht, dass wir etwas besonderes sind, weil wir den demokratischen Rechtsstaat gegen das Böse schützen. Schnell führt gruppendynamischer Druck in einer Wachdienstgruppe oder in einer geschlossenen Einheit zur Abwehrhaltung, die ggf. auch rechtswidriges Verhalten von KollegInnen deckt.

Die Polizei wird an den Nahtstellen der Gesellschaft tätig, hat also naturgemäß mit Randgruppen oder kritischen Minderheiten zu tun. Dies kann sich auf Dauer psychisch belastend auswirken, so dass das „polizeiliche Gegenüber“ sehr bald als Bedrohung per se empfunden wird – es wird zum „Störer“. Mitunter gewinnen Außenstehende den Eindruck, dass nicht die Rechtsordnung, wohl aber die Ruhe des Polizeibeamten „gestört“ worden ist. So erklären sich z.B. übergriffe auf Journalisten, die nur ihrer (wichtigen) Arbeit nachgehen wollen. Demonstranten werden schnell zum „Chaotenpack“ erklärt, weil das freie Wochenende geplatzt ist. Punks müssen sich schon mal als „Ratten“ bezeichnen lassen. Und unerträglich wird es, wenn einige PolizistInnen ihre Vorurteile und ihren Haß an ausländischen BürgerInnen ausleben, von „Kohlensäcken“ sprechen, wenn sie Afrikaner meinen.

Einer der Hauptgründe für polizeiliche übergriffe liegt in einem mangelhaft ausgeprägten demokratischen Rollenverständnis. Es gibt immer noch zuviele BeamtInnen, die ein diffuses, an den Obrigkeitsstaat erinnerndes Polizeiverständnis in sich tragen (vgl. den Abschnitt Polizeigeschichte) und so zwangsläufig mit widersprechenden BürgerInnen aneinandergeraten.

Tägliche Polizeiarbeit wird kaum aufgearbeitet, Methoden wie z.B. Supervision sind innerhalb der Polizei noch weitgehend exotische Fremdworte. In einigen Bundesländern angebotene Konfliktbewältigungsseminare für PolizeibeamtInnen sind begrüßenswerte Ansätze – mehr aber auch nicht.

Das Ausmaß von polizeilichen übergriffen, die sich auf vorhandene Feindbilder zurückführen lassen, hängt nicht zuletzt davon ab, welches Rollenverständnis PolizistInnen in der Aus- und Fortbildung vermittelt wird. Entscheidend ist auch, wie sich das Verhalten von Innenministern und Politik auswirkt, wenn sie sich ungeprüft vor „ihre Polizei“ stellen. Wir PolizistInnen vergessen sehr schnell, dass wir nicht umfassenden Einblick in die Verhältnisse bekommen, weil wir in unserem täglichen Dienst sehr viele negative Seiten der Gesellschaft kennenlernen. So entwicklen wir ein Scheuklappendenken, das sehr schnell zu einem stigmatisierenden Verhalten führt. Deshalb gilt es immer wieder unser Verlaten mit Hilfe von anderen zu überprüfen . Nicht Kameraderie und Korpsgeist dürfen unseren Berufsalltag prägen sondern ein kollegiales Miteinander, zu dem auch gehört, dass wir unsere KollegInnen auf Fehlverhalten ansprechen.

Drogenpolitik

Innerhalb der herrschenden Drogenpolitik der Bundesrepublik Deutschland nimmt die Polizei eine bedeutende Rolle ein. Immer dann, wenn die steigende Zahl von KonsumentInnen, Drogentoten, der beschlagnahmten illegalen Drogen und ausufernde Kriminalstatis-tiken ein unterträgliches Maß erreichen, verkündet die Politik mit Unterstützung der Polizei, daß neue rechtliche Eingriffsmöglichkeiten, mehr Technik und mehr Personal notwendig seien, um eine neue Runde in der „Offensive zur Bekämpfung der Drogenkriminalität“ einzuläuten. Trotz der negativen Ergebnisse bleibt diese Politik weiterhin mit dem Motto „more of the same“ mit Erfolgsversprechungen verbunden. Wir kritischen PolizistInnen wehren uns gegen diesen Scheinoptimismus, denn wir wissen, daß die Entstehung der organisierten Kriminalität u.a. eine Folge der Alkoholprohibition in den USA gewesen ist, die mit den heute bei uns kriminalisierten Drogen vergleichbar ist. An der Situation der eigentlich kranken Süchtigen hat sich nichts geändert – anstatt dem Gebot der Hilfe bleibt es bei einer systematischen Kriminalisierung, die das Elend der Sucht nur noch verstärkt, indem sie die Kranken an den Rand der Gesellschaft drängt.

Die BAG hat sich schon 1988 mit dieser Drogenpolitik anhand der Argumentation des BKA auseinandergesetzt. Bereits zu dieser Zeit stand für uns u.a. die Forderung nach einer staatlich kontrollierten Abgabe der Drogen und die Aufhebung des Betäubungsmittelgesetzes als Ergebnis fest. Die Süchtigen sind als Kranke im Sinne des Sozialhilfegesetzes anzuerkennen. Es gilt, die Zwangsgemeinschaften zwischen den Opfern und den eigentlichen Gewinnlern im Drogenbereich aufzulösen und den Blick der Polizei auf die wahren Kriminellen zu richten. Bis heute hat die Drogenpolitik bewiesen, daß eine drogenfreie Gesellschaft illusorisch ist, daß von der moralischen Aufrüstung nichts bleiben wird, der Drogenhandel nicht einzudämmen und die Verbrauchegewohnheiten nicht zu verändern sind. Es gilt, in der Drogenpolitik endlich völlig andere als bisher gestaltete Wege zu beschreiten, damit wir nicht die gleichen Erscheinungsformen erleben, wie wir sie bereits aus den Vereinigten Staaten kennen. Drogenpolitik bedeutet nicht Kriminal- sondern Gesundheitspoltitik.

Positionspapier

Neue Polizeigesetze

Mit den neuen Polizeigesetzen zeigt sich einerseits, dass die Politik den Anforderungen an das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ gerecht werden will, andererseits ist jedoch zu erkennen, dass dieser Auftrag in das Gegenteil verkehrt wurde. Mit diesen Gesetzen wird versucht, gängige Polizeipraxis, die sich bisher auf die polizeiliche Generalklausel gründete oder in einer rechtlichen Grauzone stattfand, zu legalisieren. Eingriffsschwellen werden gesenkt, anstatt bürgerliche Grundrechte zu bewahren. Im Konfliktfall zwischen Freiheit und Sicherheit unterliegt die Freiheit.

Die BAG hat sich an verschiedenen Aktionsbündnissen zu Landespolizeigesetzentwürfen beteiligt und hat zu einigen (Hamburg, Thüringen, Schleswig-Holstein, und Niedersachsen) Stellung genommen, bzw. Gutachten vorgelegt und damit kontroverse Diskussionen in der Öffentlichkeit ausgelöst.

Stellvertretend hat ein Sprecher der BAG gemeinsam mit einem Rechtsanwalt und einem Pastor vor dem Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen polizeirechtlich begründete Lauschangriffe eingelegt. Die Entscheidung steht noch aus. Die Polizeigesetze zeigen explizit, dass wir uns von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft bewegt haben. Eine derart fatale Entwicklung ist unbedingt rückgängig zu machen.

Gewalt gegen Frauen

Die 1986 vom Europäischen Parlament verabschiedete Entschließung „Gewalt gegen Frauen“ benennt Ursachen und Erscheinungsformen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen, und forderte die nationalen Regierungen zu Gegenmaßnahmen auf. Da sich die BRD mit der Erfüllung dieser Forderung Zeit lässt, findet dieses gesellschaftliche Problem auch innerhalb der Polizei nicht genügend Beachtung. Dementsprechend ist die Bearbeitung der Delikte, die Gewalt gegen Frauen strafrechtlich beschreiben, in fast keiner Weise frauengerecht.

Die hierarchische Männerdomäne Polizei sieht in erster Linie ihre Aufgabe in der Aufklärung von Straftaten und der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung. Solange sie sich im Rahmen geltenden Rechts bewegt, ohne dass die Öffentlichkeit Notiz davon nimmt und keine Kritik übt, tangiert es die Polizei sehr wenig, wie durch sie Opfer, Betroffene oder Täter behandelt werden. Damit ist auch die Interaktion zwischen PolizistInnen und von Gewalt betroffenen Frauen für den Polizeiapparat kein Problem, so dass Aus- und Fortbildung die Thematik nur am Rande behandeln.

Hilfe, Unterstützung und Beistand finden geschädigte Frauen bei der Polizei kaum. Der Grad der Hilfe, Unterstützung und des Beistands richtet sich immer nach dem sozialen Engagement der/des einzelnen PolizistIn. Nüchtern, funktional eingerichtete Büros und Wachen, ein endloser Formalismus und eine beziehungslose Amtssprache tragen in keiner Weise zu einer Atmosphäre bei, wie sie für die geschädigten Frauen und Mädchen vonnöten wäre. Ein ungestörtes Arbeiten ist in den dienstlichen Räumen ebenso wenig möglich wie die Betreuung durch eine Polizeibeamtin im gesamten Ermittlungsverfahren. Da die Täterermittlung oberste Priorität hat, können die persönlichen Belange oder das momentane Gefühlsleben des Opfers nicht berücksichtigt werden. Die Thematik „Gewalt gegen Frauen“ richtet sich innerhalb der Polizei ausschließlich auf die im Strafgesetzbuch definierten Sexualdelikte. Körperverletzungsdelikte, Bedrohung oder Nötigung werden dem Bereich „Gewalt gegen Frauen“ nicht zugerechnet.

Die Rechte der Beschuldigten im Strafverfahren sind festgeschrieben. Die Rechte von Opfern, der Geschädigten als ZeugInnen, werden vernachlässigt. Eine polizeiliche Betreuung der Opfer findet weitgehend nicht statt. Das Gefühl nicht alleingelassen zu werden, verstärkt das gegenseitige Vertrauen. Bei der Betreeung von Opfern ist die ethnische Herkunft zu berücksichtigen. Die adäquate Betreuung und die Hilfsangebote für die Opfer sind ein wichtiger Bestandteil der Integration der Menschen mit ausländischer Herkunft. Das Polizeipräsidium München hat im Herbst 1997 als erste Dienststelle ein Opferschutzkommissariat eingerichtet. Es besteht aus zunächst 13 BeamtInnen und ist bundesweit ein einmaliges Experiment.

Repressionen

Das Beamtenrecht mit seinen Pflichten, Rechten und Disziplinarordnungen wird innerhalb der Polizei in erster Linie dafür eingesetzt, um eine Diskussion in und über die Polizei zu verhindern.

Die „althergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ spiegeln sich in den heutigen Beamtengesetzen wider und lassen die BeamtInnen in einem besonderen Gewaltverhältnis zu ihrem Dienstherrn stehen. Dieses Berufsbeamtentum ist bereits in der monarchistischen Zeit geschaffen worden, um eine „demokratische Infiltration“ der Staatsverwaltung zu verhindern.

Durch die grundgesetzliche Bindung nach Art. 33 GG prägt es auch heute noch das Innenleben der Polizei.

Zwei Beispiele für beamtenrechtliche Sanktionen:

I. Ein Mitglied aus Bayern hatte 11 Flugblätter mit „Zehn Argumenten gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf“ in die Dienstfächer von Kollegen gelegt. Er erhielt deshalb eine Zurechtweisung wegen „Verteilung von Informationsblättern nichtdienstlichen Inhaltes.“ Unbeanstandet blieb jedoch die Tatsache, dass die Zeitschrift der Betreibergesellschaft der WAA von der Dienststelle bezogen und an die Kollegen zur Kenntnisnahme verteilt wurde.

II. „Wenn bei der Polizei Dinge vorkommen, die rechtswidrig sind, wo die Polizei etwas Falsches macht oder so, da muss jeder Polizeibeamte etwas dagegen tun.“ Dies äußerte der Law-and-Order-Vertreter Heinrich Lummer in einer Talk-Show. Der ehemalige Sprecher der BAG, Manfred Such, antworte ihm mit den Sätzen: „Herr Lummer, was glauben Sie denn, was passiert, wenn man das als Polizist tut, wenn ich als Polizist hingehe und sage: da hat ein Polizist rechtswidrig gehandelt? Das erlebe ich in meinem praktischen Dienst – ich bin Kriminalbeamter – ich möchte sagen fast täglich – fast täglich. Er wird ausgegrenzt, fertiggemacht, bis es für ihn unerträglich wird, und er den Dienst quittieren muss.“ Manfred Such war als Vertreter der BAG zu dieser Sendung eingeladen worden. Aus seiner Antwort resultierte eine sofortige Versetzung, Strafanzeigen wegen Beleidigung und disziplinarische Maßnahmen.

Gustav-Heinemann-Bürgerpreis

1988 wurde uns der Gustav-Heinemann-Bürgerpreis verliehen. Er sollte uns ermutigen, „… in unserer Initiative fortzufahren und zusammen mit Gleichgesinnten weiter dahin zu wirken, dass unsere Polizei mehr als bisher eine Polizei von Demokraten für Demokraten wird.“

Dr. D. Posser in seiner Laudatio: „… Die Kritischen Polizistinnen und Polizisten haben von ihrem Recht auf freie Meinungsäusserung Gebrauch gemacht, auch da, wo ihre Ansichten nicht genehm waren, und ohne sich vor persönlichen Nachteilen zu scheuen.“

In diesem Sinne haben und werden wir uns weiterhin zu Wort melden.

Veranstaltungen

Im Herbst jeden Jahres findet die Mitgliederversammlung und Arbeitstagung der BAG statt. Hier werden die Regularien unserer Satzung erfüllt; auf der öffentlichen Arbeitstagung werden Positionen der BAG erarbeitet. Zu bestimmten Themen laden wir Berater ein. Auch die Begegnung kommt nicht zu kurz, da die Mitglieder der BAG über das gesamte Bundesgebiet verstreut leben.

Satzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal)

1. Name und Sitz

Der Verein führt den Namen „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten Hamburger Signal) e.V.“ Er soll in das Vereinsregister eingetragen werden. Sitz des Vereins ist Hamburg.

2. Vereinszweck

(1) Der Verein soll

  • in Weiterentwicklung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger, die Gleichheit aller und die Gleichberechtigung der Geschlechter, die soziale Gerechtigkeit, den Schutz von Minderheiten und die Solidarität der Menschen gegen ihre Vernichtung und gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen fördern;
  • die Demokratisierung der Polizei im Innen- und Außenverhältnis und deren Transparenz für die öffentlickeit fördern;
  • die Zusammenarbeit mit anderen im Polizeidienst Tätigen und ihren Organisationen anstreben.

(2) Die Tätigkeit des Vereins ist nicht auf einen wirtschaftlichen Erfolg gerichtet.

3. Mitgliedschaft

(1) Mitglied des Vereins kann jede/r werden, der/die im Polizeidienst tätig oder tätig gewesen ist. Über den schriftlichen Aufnahmeantrag entscheidet der Vorstand. Gegen eine Ablehung kann die Mitgliederversammlung angerufen werden. über die Aufnahme wird eine Bescheinigung ausgestellt.

(2) Die Mitgliedschaft endet

a) mit dem Tod des Mitglieds;

b) durch schriftliche Austrittserklärung gerichtet an ein Vorstandsmitglied; sie ist unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende eines Monats zulässig;

c) durch Ausschluß aus dem Verein: Ein Mitglied, das in erheblichen Maße gegen die Vereinsinteressen verstoßen hat, kann durch Beschluß der Mitgliederversammlung aus dem Verein ausgeschlossen werden. Zum Ausschluß ist eine 2/3-Mehrheit der anwesenden Mitglieder erforderlich.

4. Organe des Bundesvereins

Der Verein besteht auf Bundesebene. Seine Organe sind die Mitgliederversammlung und der Vorstand.

5. Die Mitgliederversammlung

(1) Die Mitgliederversammlung ist mindestens einmal jährlich vom Vorstand einzuberufen. Die Einberufung erfolgt unter Einhaltung einer Ladungsfrist von vier Wochen durch Brief an die Mitglieder. Dabei ist die vorgeschlagene Tagesordnung vom Vorstand mitzuteilen. Anträge auf Satzungsänderungen sind der Einladung beizufügen.

(2) Die Mitgliederversammlung hat insbesondere folgende Aufgaben:

a) Bestimmung der Leitlinien für die Vereinsarbeit und für die Fachgruppen;

b) Entgegennahme des jährlichen Rechenschaftsberichts des Vorstands und Entlastung des Vorstands;

c) Bestätigung und Abberufung von Fachgruppen und Entgegennahme ihrer Berichte;

d) Festsetzung der Höhe des Mitgliedsbeitrages und Verteilung des Beitragsaufkommens zwischen dem Verein und seinen Untergliederungen;

e) Genehmigung des Haushaltsplans;

f) Beschlüsse über Satzungsänderungen und Vereinsauflösung; hierfür sind ebenfalls eine 2/3-Mehrheit aller anwesenden Mitglieder erforderlich.

(3) Der Vorstand hat unverzüglich eine Mitgliederversammlung einzuberufen, wenn das Vereinsintersse es erfordert, oder wenn mindestens 10% der Mitglieder die Einberufung schriftlich und unter Angabe des Zwecks und der Gründe fordern.

(4) über die Beschlüsse der Mitgliederversammlung ist ein Beschlußprotokoll aufzunehmen, das durch die Versammlungsleiterin/den Versammlungsleiter und die Protokollführerin/den Protokollführer zu unterzeichnen ist.

6. Der Vorstand

(1) Der Vorstand beteht aus ein bis drei gleichberechtigten Sprecherinnen/Sprecher und bis zu acht Beisitzerinnen/Beisitzern. Der Verein wird gerichtlich und außergerichtlich durch die/den Sprecherin(nen) / Sprecher vertreten. Der Vorstand führt auf der Grundlage der von der Mitgliederversammlung beschlossenen Leitlinien die laufenden Geschäfte des Vereins. Er koordiniert die Arbeitsgruppen und die Untergliederungen.

(2) Der Vorstand wird von der Mitgliederversammlung auf die Dauer von zwei Jahren gewählt. Er bleibt so lange im Amt, bis eine Neuwahl erfolgt.

7. Gliederung und Arbeitsweise des Vereins

Die Arbeit des Vereins wird von den örtlichen und regionalen Gruppen und projektbezogen und thematisch bestimmten Fachgruppen getragen, welche die Mitglieder bilden. Jedes Mitglied soll sich einer örtlichen oder regionalen Gruppe und möglichst auch einer oder mehreren projektbezogenen oder thematisch bestimmten Fachgruppen anschließen.

8. Gruppen mit äußerungsrecht für den Verein

Diejenigen projektbezogenen und thematisch bestimmten Fachgruppen, die im Namen des gesamten Vereins äußerungen abgeben, bedürfen der allgemeinen Bestätigung durch die Mitgliederversammlung, vorläufig bis zu deren Zusammentritt der Bestätigung durch den Vorstand. Das Recht im Namen des gesamten Vereins äußerungen abzugeben, kann durch den Vorstand oder die Mitgliederversammlung beschränkt werden.

9. Untergliederungen

(1) Auf Landesebene können die Mitglieder sich zu nichtrechtsfähigen Untergliederungen zusammenschließen. Dies geschieht durch Beschluß der einfachen Mehrheit dieser Mitglieder in einer Teilmitgliederversammlung, wobei mindestens sieben Mitglieder für die Untergliederung stimmen müssen.

(2) Die Untergliederungen bestimmen ihre Verfassung selbst. Dazu gehört die Regelung der örtlichen und regionalen Arbeit, für die sie allein zuständig sind. Unberührt bleibt die Zuordnung von projektbezogenen und thematisch bestimmten Gruppen zum Bundesverein, die länderübergreifend arbeiten oder für den gesamten Verein sprechen (§ 8). Unberührt bleiben auch die §§1,2,3,5 und 12. Die Untergliederungen führen den Namen des Gesamtvereins mit einem Zusatz, der sich auf ihr Gebiet bezieht. Die Mitgliedschaft im Gesamtverein und den Untergliederungen ist eine einheitliche.

10. Beitragsaufkommen

Es wird ein Mitgliedsbeitrag erhoben. Der Vorstand gibt Anteile des Beitragsaufkommens gemäß den Beschlüssen der Mitgliederversammlung an die Untergliederungen ab. Der Vorstand kann den Untergliederungen den Einzug der Mitgliedsbeiträge überlassen und nimmt gemäß den Beschlüssen der Mitgliederversammlung die Bundesanteile des Aufkommens von ihnen entgegen. Der Vorstand überläßt den Fachgruppen, für die er zuständig ist, im Rahmen der Möglichkeiten die erforlichen Mittel.

11. Geschäftsjahr

Geschäftsjahr des Vereins ist das Kalenderjahr.

12. Auflösung des Vereins und Anfall des Vermögens

Bei Auflösung oder Aufhebung des Vereins oder Wegfall seines Zwecks fällt das Vermögen des Vereins an die deutsche Sektion von amnesty international.

Berlin, 13. November 1988

Beitragsregelung: Der Beitrag beträgt 10,- € im Monat. Wer aus sozialen Gründen diesen Betrag nicht zahlen kann, ermäßigt ihn nach eigenem Ermessen. Die Geschäftsstelle ist hiervon zu unterrichten. Eine Begründung ist nicht erforderlich.

Zweimal im Jahr (Januar und Juni) werden Rechnungen verschickt. Wer auf diese und anschließende Abmahnungen nicht reagiert wird vom Bezug der Rundbriefe und der Zeitschrift UNBEQUEM ausgeschlossen. Bei einem Rückstand von mehr als 12 Monatsbeiträgen kann ein Ausschluß erfolgen. Dieser Ausschluß wird auf der MV beantragt.

Grundsatzpositionen

Gründung im Juni 1986

Im Zuge der Ereignisse um die Großdemonstration gegen das Atomkraftwerk Brokdorf und dem sich anschliessenden „Hamburger Kessel“ im Juni 1986 gründeten einige Polizistinnen und Polizisten eine Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten, das HAMBURGER SIGNAL. Die Gründungsmitglieder waren durch die Einsätze unterschiedlichst persönlich betroffen:

Sie waren selbst eingesetzt oder befanden sich auf der „anderen Seite“. Einige Freunde und Bekannte von ihnen wurden im „Kessel“ festgehalten. Aus dieser persönlichen Betroffenheit heraus verfaßten sie die folgende Gründungserklärung der „Kritischen“:

Hamburger Polizisten verstehen sich als Anlaufstelle für kritische Kollegen

Heute, am 30. Juni 1986, haben sich Bedienstete aller Sparten der Hamburger Polizei zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen gefunden. Aktueller Anlaß ist das Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen in Brokdorf, Kleve und Hamburg am 7. und 8. Juni 1986.

Aus der langjährigen Diensterfahrung der meisten von uns bringen wir einiges an Verständnis für die Schwierigkeiten polizeilichen Handelns bei teilweise unfriedlichen Großveranstaltungen mit. Aber gerade die Polizei muss als Instrument des Rechtsstaates gesetzmäßig handeln.

Wir wollen durch Aktionen dazu beitragen, dass das Anforderungsprofil an die Polizei mit der tatsächlichen Berufsausübung zur Deckung kommt. Polizei soll Gefahren abwehren, nicht sie produzieren, und Straftaten aufdecken, nicht sie begehen.

Darüber hinaus sehen wir in dem derzeitigen Klima gegenseitiger Aufrüstung und rapider Gewalteskalationen die Gefahr, dass sich derartige übergriffe in gleicher oder gar größerer Intensität wiederholen könnten.

Wir wünschen, dass die Verwirklichung von Grundrechten in diesem Staat für jeden möglich ist und die Polizei sich an einer liberalen Interpretation der Grund- und Menschenrechte orientiert, um jeglichen Vergleich zu totalitären Regimen auszuschließen.

Wir wollen hierzu unseren Beitrag leisten, indem wir Veranstaltungen durchführen. Wir wollen inhaltlich zu bestimmten Problemfeldern, Verschärfung des Demonstrationsrechtes, Innerdienstliche Demokratie, Organisation der Polizei, Aus- und Fortbildung in der Polizei, Berufsbild und vieles andere mehr diskutieren, arbeiten, uns auch öffentlich zu Wort melden und die Diskussion in die Polizei hineintragen.

Wir wollen für die vielen kritischen Kollegen innerhalb der Hamburger Polizei Anlaufstelle sein. Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, in der wir zwangsfrei diskutieren können. Wir wollen uns auch gegenseitig durch Informations-, Wissens- und Erfahrungsaustausch festigen.

Wir sind der Meinung, dass anläßlich der Einsätze am 7. und 8. Juni 1986 in Brokdorf, Kleve und Hamburg der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit in einer ganzen Reihe von Fällen nicht zur Anwendung gekommen ist.

Wir fragen uns, ob die politische Führung durch die polizeiliche Führung gelenkt wird, oder ob die politische Führung eine „harte Linie“ bei der Hamburger Polizei durchsetzen und dabei die zukünftig zu erwartenden Konfrontation für sachfremde Zwecke nutzen möchte, oder die polizeiliche und politische Führung unbedarft die Ergebnisse der Einsätze bewirkt haben.

Innerhalb des Dienstes können wir nur auf die Rechte und Pflichten nach dem Hamburgerischen Beamtengesetz – hier: die Pflicht zur Beratung und Unterstützung von Vorgesetzten – beschränken. Diesen Beschränkungen unterliegen wir als Staatsbürger zum Glück lediglich eingeschränkt. Wir wollen versuchen, eine ehrliche und kontinuierliche Arbeit zu leisten, um uns des öfteren in die öffentliche Diskussion einzuschalten und Auswüchse, wie in der vergangenen Zeit vorgekommen, verhindern zu helfen.

Um es ganz klar zu machen, wir alle stehen zu unserem Beruf, haben ihn aus Überzeugung ergriffen und wollen ihn aus Überzeugung weiter ausüben.

Frankfurter Rundschau, 14. Juli 1986

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