Rechter Terror

Vorgeschützte Inkompetenz ist die Staatskrise

Ordnende und schützende Hände seitens Beamter ist die noch größere Staatskrise

Bedauerlicherweise erst seitdem der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) – auch als Zwickauer Terrorzelle bekannt – sich im November 2011 selbst auflöste, tun sich der Öffentlichkeit ein weit über ein Jahrzehnt betriebenes Ermittlungsversagen und Vertuschen gegenüber rechtsextremistischen Straftätern und Polizistenmördern auf, deren Arbeitszusammenhänge weit über die Bundesrepublik Deutschland ins Ausland hinein bestanden und bestehen.

Der „Nationalsozialistische Untergrund“: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos & Beate Zschäpe

Lediglich eine kleine Anzahl belächelter bzw. nicht ernst genommener oder als überengagiert abgetaner JournalistInnen, warnten vor der Militarisierung, den Trainings und einer überhaupt aggressiv militant sich steigernden rechtsextremen Szene. Der Großteil des Establishments verniedlichte und bagatellisierte, die seit der Wiedervereinigung 1990 stattfindenden Pogrome (Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Lübeck …) und eindeutig über 150 ermordeten ausländischen MitbürgerInnen liegenden Opfern des rechten Terrors. (vergleiche Wikipedia: Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland).

Dies erfolgte im Gleichschritt mit PolizeibeamtInnen in den sogenannten Verfassungsschutzämtern, den sogenannten Staatsschutzgliederungen der Landes- und Bundespolizeien, aber auch in den Mordkommissionen und den zahlreichen Sonderkommissionen, die sich an der Aufklärung (?) der 10 Toten und diversen anderen Kapitaldelikten des NSU versuchten und bemühten. So weit so schlecht. Die Parallelen zur Weimarer Republik oder gar zur Kaiserzeit sind glücklicherweise noch nicht weiter zu komplettieren.

Dabei kann niemand diese hohe Zahl an Toten – ungezählt bleiben die an ihrer Gesundheit geschädigten Opfer – durch rechtsextremistischen Terror alleine auf die Zeit nach der Wiedervereinigung, also seit 1990, verengen. Auch zuvor gab es eine relevante Zahl von Todesopfern ohne dass die staatlichen Instanzen angemessen arbeiteten. Hier siehe: Wikipedia: Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland vor der deutschen Wiedervereinigung (1945-1990)

Die „Spielarten“ um die TäterInnen zu schützen, waren mannigfaltig: Mal waren es „Jugendsünden“, ein anderes Mal wurde behauptet, die Ermittlungen im Griff zu haben, das nächste Mal wurde behauptet, es gäbe keine rechtsextremistischen Anhaltspunkte oder einen solchen Hintergrund (wie auch bei den 10 NSU-Morden) und immer wieder gab es auffälligste und krasse Ermittlungspannen, bei denen in der Regel die TäterInnen unbekannt blieben oder aufgrund zum Teil belegten bewusst schlechten Ermittlungen unbestraft blieben bzw. mit nachgerade lachhaft anmutenden Sanktionen die Gerichtssäle verließen; wenn es überhaupt zu Hauptverhandlungen kam. Selbst bei Brandstiftungen mit mehreren Toten!

In dieses Muster (Fremdenfeindlichkeit, aggressive Militanz, Ermittlungs“pannen“) lassen sich auch bestimmte Gewalttaten durch PolizeibeamtInnen einordnen: Oury Jalloh, der im Polizeigewahrsam in Dessau in einer Polizeizelle verbrannte (vergleiche Wikipedia: Oury Jalloh) und diverse weitere Polizeihandlungen, wie den „ergebnislosen“ Ermittlungen zu Brandstiftungen bei Asylbewerberheimen wie in Lübeck, Rostock-Lichtenhagen oder Mölln. Diese PolizeibeamtInnen bleiben allesamt ungeschoren und ohne Sanktionen. Durch ihr „beherztes“ Beispiel entwickeln solche BeamtInnen weitere Motivationsschübe für menschenfeindliche dienstliche Aktionen. Solche Fälle werden immer wieder von einer rechten Justiz (Staatsanwaltschaft wie von RichterInnen, die allerbestens „empört“ waren wie im Gerichtsverfahren zu Oury Jalloh, aber dann in der Urteilsbegründung neuerlich schonende Formulierungen für die angeklagten PolizeibeamtInnen formulierten) einseitig bearbeitet. Auch das ist Alltagshandeln einer politischen Justiz ohne dass ein Staatsschutzparagraph überhaupt in Anwendung gelangte.

Zivilgesellschaftlich wie wir Kritischen PolizistInnen waren gegen solche antidemokratischen Erscheinungsformen andere Organisationen noch weit aktiver: so zum Beispiel Pro Asyl, die Amadeu Antonio Stiftung und andere. Auch einzelne PolitikerInnen in wenigen Parteien. Wir Kritischen haben immer wieder vor diesen Entwicklungen in den Polizeien, aber auch Staatsanwaltschaften und Gerichten gewarnt. Als Beispiel soll hier ein Artikel aus dem Jahr 2000 dienen, der unveränderte Gültigkeit hat und mit diversen genauso bizarren aktuellen Beispielen heute – zwölf Jahre später (!) – geschrieben werden könnte: „SS-Runen auf Spinden. Polizei und Rechtsextremismus.

Die von Emil Gumbel sogar statistisch nachgewiesene Blindheit der Justiz gegenüber „rechts“ reicht übrigens schon auf die Zeit der von Demokratiefeinden zugrunde gerichteten Weimarer Republik und weiter zurück (vergleiche Daniel Furth: Rechnen gegen den Terror. Spiegel einestages, 27. April 2012 und Elmar Geuß: Politische Justiz in der Weimarer Republik 1919 – 1927. November 1994).

Die Bundesrepublik Deutschland war selbst in den rund vier Jahrzehnten als die DDR bestand immer Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches. Das hat ganz offensichtlich auch Auswirkungen in diesem beschämenden und menschenverachtenden Segment, dem Umgang mit ausländischen MitbürgerInnen („Fremden“) und beschwerdeschwachen Minderheiten (Obdachlosen etc.) durch den Mob, der sich bis hin zu pogromähnlichen Übergriffen austobte oder der wenig bis kaum durch staatliche Initiative bekannt gewordenen Killer-Serie der NSU an neun Mitbürgern mit migrantorischem Hintergrund sowie einer baden-württembergischen Polizistin und den Umgang der staatlichen Organen wie Polizeien, Staatsanwaltschaften und Gerichten mit diesen Phänomen.

Genau so ist zum Beispiel auch die Vernichtung von Beweismitteln zu erklären. Eine angeblich unerklärbare Zusammenballung von Irrtümern, Inkompetenz, Koordinationsfehlern, schlechten Analysen, dem Wegschieben von offenkundigen Beweismitteln (Zeugenaussagen, Fotos, sogar Videos, weitere Tatsachen und Indizien). Also sowohl Personal- wie auch Sachbeweisen bei der Bearbeitung der NSU-Taten. Deshalb ist es nachgerade lächerlich, wenn von „Pannen, Pleiten und Pech“ zu lesen ist oder gefaselt wird. Es ist strukturell bedingt, hat System und stellt vielfach – nicht immer (!) – bewusste Planung dar. Genau wie bei dem seit dem Auffliegen des NSU seriellen Vernichtens von weiteren vorhandenen Beweisen, weil diese eine Verstrickung von BeamtInnen belegen könnten, die eben „die“ große Staatskrise darstellt.

Dabei sollte man sich immer vor Augen halten, dass es nicht alleine um die 10 Morde geht, sondern auch mindestens drei Sprengstoffattentate mit über 30 Verletzten, über 20 Raubtaten sowie weiterer Straftaten. Insgesamt gab es also weit über 30 Kapitalverbrechen, bei denen die Polizeien „Verfassungsschutz“ämter munter für den Papierkorb (später: Schredder) arbeiteten.

Die in Auftrag gegebene (Partei)Untersuchung mit dem ehemaligen BGH-Richter Dr. Gerhard Schäfer ergab, dass bereits weit früher die Festsetzung der so genannten Zwickauer Zelle und ihrer Mittäter durch staatliche Ermittler hätte führen können, eigentlich hätte führen müssen. Wenn das, was Dr. Schäfer in seinem Partei-Gutachten auswirft, tatsächlich so zuträfe – ein beispielloses Chaos zwischen Landesverfassungsschutz (LfV), Staatsanwaltschaft (StA) und Polizei in einem Bundesland über nun Jahrzehnte -, dann handelte es sich auch dabei um eine Staatskrise. Im übrigen wurden selbst dem Sonderermittler Dr. Schäfer nicht alle vorhandenen Unterlagen zur Verfügung gestellt. Tatsächlich besteht die Staatskrise bei der NSU-Straftatenserie aber in etwas anderem, nämlich in einem Strukturproblem, bei dem mindestens Verfassungsschutzbeamte mit vertuschten und ihre schützenden (= ordnenden) Hände über das NSU-Trio legten.

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