Fallbeispiel Kamiar M.

Kamiar M. als Fallbeispiel: Mobbing via Strafrecht

Worum geht es?

Ein junger und tüchtiger Polizist aus Hamburg, eben Kamiar M., ist auffällig erfolgreich bei Festnahmen und anderen dienstlichen Handlungen. Sogar NeiderInnen sind vorhanden. Plötzlich wird der Polizist mit strafrechtlichen Vorwürfen überhäuft. Seine höchsten Vorgesetzten geben ihn zum Abschuss frei, wobei nicht neutral ermittelt wurde bzw. nicht mehr neutral ermittelt werden sollte. Für dieses Fallbeispiel werden weiterführende Informationen dokumentiert.

Polizeipräsidium Hamburg.

Die Vorwürfe gegen Kamiar M. behandelten Sexualdelikte, zunächst einmal erhoben von einer Zufallsbekanntschaft auf einem Dorffest, dem Vorwurf vom November 2005 folgte im Februar 2006 der Freispruch. 2007 erhob eine enttäuschte Ex-Freundin wiederum Vorwürfe. Bei dem neuen Verdacht handelt sich beim weiteren Vorgehen gewissermaßen um eine Nachahmungstat der Polizeibehörden.

Die taz schreibt: „Kamiar M. war am 11. September 2007 von seiner langjährigen Freundin Meike W., mit der er noch gelegentlich sexuelle Kontakte hatte, angezeigt worden. (…) Tags darauf war Kamiar M. zu Polizeidirektor Kuno Lehmann ins Präsidium zitiert worden. ‚Kündigen Sie selbst. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens werde ich Sie entlassen‘, erklärte ihm Lehmann. Als M. sich weigerte, stürmte das Mobile Einsatzkommando mit scharfen Waffen in Lehmanns Büro. Den roten Laserstrahl auf M.s Brust gerichtet, nahmen sie ihn fest.“

Die gegen Kamiar M. vorgetragenen Vorwürfe werden mithilfe von PolizeibeamtInnen des sogenannten Dezernats Interne Ermittlungen (DIE) und anderer Dienststellen des Landeskriminalamts Hamburg kunstvoll gedrechselt und hoch geschraubt. Er musste über dreimal ins Untersuchungsgefängnis, es wurde Haftbefehle, Durchsuchungen etc. konstruiert. Kamiar M. wurde von höchsten Vorgesetzten zum Abschuss freigegeben. Es fanden dubiose Beweisaufnahmen vor der Kleinen Strafkammer 1 des Landgerichts Hamburg statt.

Diese Deliktskategorie eignet sich besonders gut zum Mobbing mit den Mitteln des Straf- und Strafverfahrensrechtes, weil sich grundsätzlich jeder zunächst einmal angewidert abwendet. Und: Je häufiger solch Unfug gegen diesen jungen Mitbürger Kamiar M. erhoben wird, desto mehr – leider auch Journalistinnen – sagen: „Da muß doch etwas dran sein!“ – Eine fast perfekte Existenzvernichtung.

Die Frauen selbst gehen für ihre Vorwürfe selbstverständlich straffrei aus. Keine Strafe, keine Kostenübernahme. Aus anderen Fällen sind ja noch Prämien von der Presse bekannt.

Der oberste Polizist Hamburgs, Lehmann, war schon mit diesem Vorgehen gegen Kamiar M. kaum haltbar. Die Hamburger Staatsanwaltschaft reiht ihrer seit Jahrzehnten eingeübten Routine, eigenständige Personalpolitik in der Freien und Hansestadt Hamburg zu machen, ein weiteres Beispiel ein. Dieses Programm lief auch mehr als zwei Kalenderjahre unter einem grünen Justizsenator. Und nicht bloß bei Kamiar M.

Beschwerden beim Presserat

Im Fall Kamiar M. reichten wir ab Mai 2008 gegen eine verzerrende und vorverurteilende Berichterstattung erfolgreich Beschwerden beim Deutschen Presserat ein. Dieses Instrument dient zur Korrektur von Persönlichkeitsrechtsverletzungen in der Berichterstattung. Die Beschwerden richteten sich gegen das Hamburger Abendblatt.

Ebenso reichten die Kritischen beim Deutschen Presserat erfolgreich Beschwerde gegen die Hamburger Morgenpost ein.

Sichtbare parlamentarische Aktivitäten

In der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg machten sich einige Abgeordneten Gedanken und verlangten ab Januar 2009 Aufklärung über die Vorgänge im Fall Kamiar M.

Gegenanzeigen

Kamiar M. stellte selbst Strafanzeige über einen renommierten Rechtsanwalt gegen seine Peiniger. Sie wurden nachweislich ohne jeglichen Ansatz ernsthafter Ermittlungen – lediglich nach Abwarten einer bei Insidern bekannten Schamfrist – durch die Hamburger Staatsanwaltschaft eingestellt.

Befangenheit der Richter

Im Februar 2010 wurde bekannt (Presserklärung vom 3. Februar 2010), dass der unsägliche Vorsitzende Richter am Landgericht Hamburg, Herr Dr. Schwarz, und sein Mitstreiter, Richter Halbach, für befangen erklärt wurden. Dafür waren 21 Befangenheitsanträge nötig gewesen. Kamiar M. hatte sich auch persönlich an das Gericht gewandt (siehe hierzu Presserklärung vom 3. Februar 2010).

Zur Angelegenheit Schwarz:

Einstellung des Verfahrens

Noch im Februar 2010 erfuhr die Öffentlichkeit, dass das Verfahren eingestellt werden musste.

Die Benachteiligungen des Beamten waren nun aufzuheben:

Ein weiterer Anlauf, einen kleinen Beamten kleinzukriegen

Man gab nicht locker. Die Polizeiführung ging nach der Schlappe, die sie am Amtsgericht Hamburg-Blankenese erlitten hatte, und nachdem die Berufung vor dem Hamburger Landgericht Anfang des Jahres 2010 wegen extremer Befangenheit des Richters geplatzt war, noch ein zweites Mal in die Berufung vor dem Landgericht Hamburg. Ab dem 7. Januar 2011 wurde erneut verhandelt.

Am 30. März 2011 sprach das Landgericht den Polizisten vom Vorwurf der sexuellen Nötigung seiner langjährigen Freundin Meike W. erneut frei. Das Gericht bezeichnete die Ermittlungen der Polizeibehörde als einseitig und „dilettantisch“.

Kamiar M. arbeitet seit kurzem im Lagebereich. Anstatt ihm für seine erlittenen Schäden und Nachteile zum Beispiel aufgrund seiner außerordentlichen dienstlichen Erfolge mit einem Fachhochschulstudium oder vergleichbarer Förderung informell zu entschädigen, „darf“ er jetzt für seine Kompetenzen und seiner Persönlichkeit atypische dienstliche Handlungen ausführen.

Wie schaut es mit Kamiar M. aus: Wer trägt seine Kosten für die anwaltliche Vertretung. Entschädigung für die Haft? Einkommensverluste? Verluste durch ausbleibende Beförderungen? Anwartschaft auf die Verbeamtung? Was machen die Beschwerden wegen des Umgangs mit ihm wie zum Beispiel die Umstände der Verhaftung etc? Das verliert sich im Gang der Geschichte. Sein Freispruch vor dem Landgericht war auch nur eine Notiz in der taz wert.

Kommentar der BAG

Es handelt sich nicht um den Fall Kamiar M., sondern um ein weiteres Beispiel aus der Endlosschleife einer bundesdeutschen Polizei (hier: Hamburg), in der ein zum Abschuß erklärtermaßen freigegebener (junger) engagierter und tüchtiger Polizeibeamter fertig gemacht werden soll. Dabei helfen die Staatsanwaltschaft Hamburg sowie der zuständige Richter am Landgericht, Herr Dr. Schwarz, nach Kräften mit. Dass dieser Richter von dem grünen Justizsenator, Herrn Dr. Till Steffen, zum 1. Juli 2009 frisch in dieses Amt des Vorsitzenden Richters am Landgericht geschoben worden ist, macht die Sache nur noch grausliger.

Auch der andere VRiLG HH, Herr Dr. Halbach, der ein ähnliches Kaliber wie Dr. Schwarz darstellt und im November 2009 in (nur) dieser Sache von einer anderen Vorsitzenden einer Kleinen Strafkammer für befangen erklärt worden ist, nachdem er reihenweise gut und besser begründete Befangenheitsanträge gegen Dr. Schwarz und seine willfährigst agierenden beiden Schöffen (die Herren Wilhelmi und Grabert) mit zum Teil abenteuerlichen Begründungen ablehnte, wurde gleichfalls von einem grünen (!) Justizsenator, der immerhin protokollarisch einen Ministerrang bekleidet und sogar von sich behauptet, für Bürgerrechte einzutreten, zum 1. Juli 2009 ernannt.

Es wurden einseitige Ermittlungen geführt, die nahezu sämtlichen relevanten entlastenden Momente ausklammerten. Die Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft Hamburg durch den Staatsanwalt Keunecke – siehe auch Pressemitteilung vom 14. August 2009 – ist während der gerichtlichen Beweisaufnahme noch krasser, und das Gericht erweckt den Eindruck, dass es nach eigenen Regeln, aber nicht denen der Strafprozeßordnung arbeitet. Der Unterschied zu der Rechtsetzung in einem Feudalregime verschwimmt.

Dies alles ist nur möglich gewesen, weil ein grüner Justizsenator eine weisungsabhängige Staatsanwaltschaft, die (wieder einmal) außer Rand und Band geraten ist und ohnedies seit Jahrzehnten in Hamburg (Personal)Politik betreibt, nicht anwies, endlich nach den gesetzlichen Vorgaben zu arbeiten, unter gleichzeitiger Ignoranz der Medien (mit einer Ausnahme), der Gerichtsberichterstattung.

Auch ein grüner Justizsenator, Dr. Till Steffen, trug die politisch-administrative Verantwortung, weil er für die Personalpolitik verantwortlich war und sich versteckte.

Mithin handelt es sich um ein weiteres Beispiel von Problemen wie Corpsgeist, Mobbing und Mauer des Schweigens bei einer bundesdeutschen Polizei, ihrer Staatsanwaltschaft und den Gerichten, um dann einen schwarzen Richter den Blattschuß machen zu lassen.

Thomas Wüppesahl, Bundessprecher

Hintergründe: Interview mit den Kritischen auf Gulli.com

Zusammen mit den Redakteuren von Gulli.com erstellten wir im Januar 2010 eine Zwischenbilanz zur Rechts- und Innenpolitik, Schwerpunkt: Polizei in der BRD. Darin geht es auch um Mobbing gegen Kollegen.

Zeitungsartikel zu der Prozeßserie um Kamiar M.

Kamiar M. befand sich über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren im Fokus einer zum Teil bundesweiten Presse. In der Berichterstattung überwiegen die Zweifel an der Vorgehensweise der Justiz.

2005/06

2008

2009

2010/11

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