Frankfurt ist überall

Zu den aktuellen Vorgängen bei der Frankfurter Polizei und zu den des Rechtsextremismus und anderer Straftaten verdächtigten fünf BerufskollegInnen nehmen wir Stellung:

Angesichts des kompletten medialen Erstaunens und entsetzter Überraschung über die bis jetzt bekanntgewordenen Sachverhalte, bis hin zur Morddrohung gegenüber einem zweijährigen Kind, staunen selbst wir. Noch konkreter: 

Wir fassen es nicht

Seit rund zwei Jahrzehnten haben wir „Kritischen PolizistInnen“ uns zu dramatischen Fehlentwicklungen innerhalb der Polizeien geäußert. Belegbar ist dies mit diesem fast 20 Jahren alten Tribüne-Artikel, wo wir frühzeitig auf die fatalen Fehlentwicklungen hinwiesen. Die Ausländerfeindlichkeit ist zwischenzeitlich „normal“ und nicht nur in Einzelfällen konkret. Das Problem besteht also nicht erst seit heute strukturell. Selbst Sexismus grassiert – mittlerweile von beiden Geschlechtern – in den Polizeien beim Bund wie in den Ländern. 

Wer die Rechtslastigkeit nach dem NSU-Komplex noch abstreitet, hat ein Wahrnehmungsproblem oder nimmt schlicht Interessen wahr. Die Interessen einer Polizei in einem Rechtsstaat können es jedenfalls nicht sein. Die ausländerfeindlichen und gegen beschwerdeschwache Bevölkerungsgruppen gerichteten Handlungen sind rechtsextremistisch und weit entfernt von einer Ausnahmekonstellation. Es handelt sich um tiefgehende menschenfeindliche Grundeinstellungen.

Seit der „Wende“ in den 90er Jahren gibt es eine klare Rechtsverschiebung in sämtlichen gesellschaftlichen Spektren, die in den Ermittlungsbehörden ganz ausgeprägt stattfindet und offensichtlich immer noch nicht an ihrem Wende- oder Tiefpunkt angekommen ist. Dazu gehören nicht bloß die Polizeien, sondern auch die Verfassungs“schutz“ämter, die Staatsanwaltschaften und bedauerlicherweise auch Gerichte.

Jetzt wird überrascht getan, dass PolizeibeamtInnen in rechten Chat-Gruppen unterwegs sind, dass eine linke Anwältin mit auch noch migratorischem Hintergrund und deren 2-jährige Tochter bedroht werden oder dass unbefugt Abfragen in den Dateien von  Einwohnermeldeämtern stattgefunden haben, um Bedrohungen offensichtlich mehr Nachdruck verleihen zu können.

Tatsache ist, dass PolizeibeamtInnen bundesweit in rechten Chat-Gruppen – nicht in Linken – agieren. Dies dürfte dieser Tage wieder schwerer verifizierbar werden, weil natürlich versucht wird, alles zu säubern – soweit es geht. Es gibt Belege darüber und dazu, die das (und noch mehr) beweisen. NSU 1.0, verbrannte Häftlinge, der erschossene Flüchtling in Fulda, Gewalttaten gegenüber Bürgerinnen (siehe SZ vom 18. 12. 2018, Seite 3) und vieles mehr: Rechtsstaatliche Kategorien werden zunehmend mit Füßen getreten. 

Viele erheben ihre Stimmen gegen China, Russland und andere Staaten. Mit welchem Recht- angesichts unserer unaufgeklärten und vertuschten Polizeiskandale? 

Frankfurt ist überall…..

Was viel bedeutsamer ist: Frankfurt ist überall. Es gibt Belege, wonach auch Hamburger Polizeibeamte – aktive wie ehemalige, nicht bloß SEK´ler, bei dem bislang kaum registrieren Hannibal-Irrsinn aktiv dabei sind und bedeutende Beiträge liefern. Unter dem Begriff „Gladio“, der in den 90igern enttarnten (NATO-) Schattenarmee, finden sich die Parallelen zu heute.

Auch diese Organisation war, wohl nicht nur in Bad Tölz  mit deutschen Stellen und von diesen ausgestattet, verzweigt. Es ist also längst „Standard“, dass rechte Sondergruppen linke, bürgerrechtliche Zusammenhänge desavouieren wo sie nur können: In den „sozialen“ Medien genauso wie bei Wikipedia und auch bei den konventionellen sogenannten „Leitmedien“. Auch so lässt sich die erbarmungswürdige Hilflosigkeit der augenblicklichen Medienresonanz zu „Frankfurt“ und darüber hinaus erklären.

Es steht für uns „Kritische“ also aktuell und seit geraumer Zeit außer Frage, dass es rechte Netzwerke in bundesdeutschen Polizeien gibt, weil unsere MitgliederInnen es erleben. Die Fälle, die bekannt werden, reichen eigentlich, dass jeder verständige außenstehende Dritte erkennt was los ist: Es verbrennen (bisher) keine Deutschen in Polizeizellen. Die schlechten Aufklärungsquoten bei Überfällen bis hin zu Terroranschlägen auf Flüchtlings- und Asylbewerberheime sind nicht anders zu erklären.

Wer Abfall einsammelt, hat ihn im Haus

Man kann es auch für die Ohren dieser Gesinnungsgenossen angemessen formulieren: „Wenn man (personell) gesellschaftlichen Abfall rekrutiert, dann hat man ihn im Haus.“ Was also soll die Überraschung bei so vielen RedakteurInnen?! Man lese nur die letzten Pressemitteilungen von uns und darin losgelöst von den aktuellen Anlässen den „Refrain“, wonach man eine zupackende Polizei haben wollte und sie jetzt hat.

Dass davon zuerst ein sozialdemokratischer Innenminister schwadronierte und darüber Schleusen öffnete, ist bei der einstigen Rechtsstaatspartei der Heinemanns und Vogels ein Trauerspiel für sich. 

Bereits in den 9oiger Jahren veröffentlichten wir einen Aufsatz über Hakenkreuze auf der Schiefertafel einer Polizeihochschule und über weitere bekannte rechtsextremistische Handlungen von Polizisten bis hin zum Einsammeln von Wahlbriefunterlagen in einem Polizeikommissariat, um diese dann mit Stimmkreuzen für die NPD zu versehen.

Auch ist kaum auszuhalten, wie jetzt ständig bestimmte Kriminologen zitiert werden, die alleine vor dem Hintergrund ihrer Berufsbezeichnung genau das – in der Regel auch noch überflüssig abgeschwächt, nein, wissenschaftlich korrekt – widerkäuen was (nicht nur) wir PraktikerInnen längst äußerten.

Klugscheißer und Wichtigtuer

Professor Tobias Singelnstein, Bochum, der mit einer Großfeldstudie zur Gewalt durch die Polizei auf dem Markt erscheint, hat es jetzt wieder versucht. Wir befürchten, dass dabei nur herauskommt. was wir seit Jahren wahrnehmen und sagen. Es erinnert an eine entsprechende Fleißarbeit von Amnesty International aus 2010. Nichts wirklich Neues, nur anders aufbereitet. Und damals übrigens rasch in der politischen und medialen Versenkung verschwunden. 

Nehmen  wir einen Professor Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg, der erneut mit wirklich lauwarmen Äußerungen sondergleichen und zum Teil bar jeglicher eigener Kenntnisgrundlage – wie ihm mehrfach cora publicum bestätigt worden ist – herumschwadroniert und damit erstaunlicherweise Teile der Öffentlichkeit verzückt. 

Leute wie Behr machen aber einen erheblichen Teil des Problems aus. Bei ihm läuft seit Jahren der mittlere Führungsnachwuchs vom gehabenden Dienst aufwärts in Hamburg durch. Heute beklagt er die Situation und fordert eine bessere Ausbildung. Wer, wenn nicht er, ist für Ausbildung zuständig? Warum kann er nicht seine scheinbar schlauen Erkenntnisse in seinem unmittelbaren Zuständigkeitsbereich einer Polizeikademie  implementieren?

Um es burschikos wie in der Sache richtig auf den Punkt zu bringen: Der Mann ist ein richtiger Klugscheißer und Wichtigtuer.

Noch krasser ist es übrigens bei der Auswahl zum Höheren Dienst innerhalb der Polizei, nicht nur in Hamburg. Wir hatten bis in die 90er Jahre eine partiell sogar erstklassige Diskussionskultur. Sie fand nicht von alleine statt, es gab sie, sogar gegen Widerstände aus Politik und Polizei selbst. Sie ist fort und soll soll auch gar nicht existieren – siehe dazu bei Bedarf auch unsere jüngeren Veröffentlichungen.

Die Verantwortung und das Versagen der Politik, hier sind im Besonderen die Innenminister und Innensenatoren der Länder gemeint, ist dessen ungeachtet augenfällig. Und alle machen mit. „Alle“ meint Politik, Polizeiführung und Medien. Das Entsetzen das jetzt zu lesen ist, wirkt auf uns Kritische wie geheuchelt.

Oder haben alle so tief geschlafen, dass sie nicht bemerkten, wie die PolizeibeamtInnen immer weiter nach rechts drifteten? Haben die Polizeireporter alle geschlafen, wenn die besonderen Einsatzlagen stattfanden?

Geschlafen bei G 20, Gorleben, den Kreuzberger Festspielen, der Schanze in Hamburg, der baden-württembergischen Ku-Klux-Klan-Affäre (Polizeibeamte, noch heute im Dienst, hatten den mit gegründet), rassistischen Zuständen in der Ausbildung? NSU- Akten- und Faktenvernichtungen?

Trotz der NSU- Vorgänge sind Dutzende weiterer rechtsextremer BeamtInnen in der Hierarchie weiter aufgestiegen. Der bayerische Innenminister Herrmann „entdeckte“ erst dann Reichsbürger bei der Polizei, nachdem ein solcher Zeitgenossen zuvor selbst einen Polizisten erschossen hatte.

Sind das alles zur zufällige Einzelfälle? Gibt es in Redaktionen auch eine Art Corpsgeist mit denen, welche in Polizeidienststellen die Pressemitteilungen formulieren? 

Niemand sollte sich wundern wenn PolizeibeamtInnen zu Tausenden bei rechtswidrigen Großlagen in zahlenmäßig nicht zu erfassenden Brüchen von Recht und Gesetz geschickt werden, sie dies mitmachen und „natürlich“ keinerlei Konsequenzen zu vergegenwärtigen haben.

Dazu zwei gesellschaftspolitisch diametral gegenüber stehende Beispiele:


1 . G 20-Gipfel in Hamburg vom 7. – 9. Juli 2017. Dort konnten sich PolizeibeamtInnen nicht bloß daneben benehmen, sondern in gravierender Weise Rechtsbrüche erlauben. Sowohl in der Einzelpersonenbearbeitung mit Schlagstöcken, Schlägen, Worten, Pfefferspray, gerade nach Stuttgart21 widerlich anmutendem Wasserwerfereinsatz und anderem mehr bei Großlagen.  Siehe hier die rechtswidrige Räumung des Demo-Camps in HH-Entenwerder gegen geltende Gerichtsbeschlüsse, Kidnapping eines Reisebusses mit jungen Mitbürgern, Jugendlichen und Schülern verschiedener Jugendorganisationen inclusive demütigender Sonderbehandlung in der Gefangenen-sammelstelle… (siehe bei Bedarf unsere Veröffentlichungen dazu).


2.    Bei dem Flüchtlingsstrom, den wesentlich Frau Merkel aus ihrer Funktion der Bundeskanzlerin ermöglicht hatte und an dem das ganze Land auch jetzt noch schwer trägt, wurden PolizeibeamtInnen gegen geltendes Gesetz und Recht eingesetzt, indem sie ausländergesetzliche Regelungen missachten sollten, alle schnell durchzuschleusen hatten, ohne Identitätsfeststellungen und so weiter. Daraus resultieren noch heute Gefährderlagen in vielfacher Hundertquantität und diverse gewaltsame Übergriffe und Straftaten bis hin zu kriminellen Clan- Strukturen und terroristischen Handlungen.

Wenn PolizeibeamtInnen solchermaßen (mit-) geprägt sind, braucht sich niemand zu wundern, wenn diese Wurstigkeit im Umgang mit Recht und Gesetz und Verfassungsgrundsätzen auch im späteren Einzeldienst durchschlägt. 

Da ist etwas schief gelaufen

Zurück nach Frankfurt: Es war einmal: Während früher Suspendierungen vom Dienst, auch solche vorläufigen Charakters ein scharfes Schwert gewesen sind, werden sie heute fast inflationär nach Stimmungslage und politischer Opportunität, politischem Wohlgefallen, angewendet.

Zu Frankfurt wissen wir bisher zu wenig, weil das dortige Maulwurfhandeln auch gar nicht hatte bekannt werden sollen! Da ist etwas schief gelaufen. Und die Verantwortlichen in Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik halten nach wie vor weitestgehend den Deckel drauf  –  und zwar weniger wegen sogenannter ermittlungstaktischer Gesichtspunkte. 

Normalerweise werden Beamte die nicht zu halten sind, still und leise vom Spielfeld gedrängt: „Wenn Du freiwilllig kündigst, dann macht der Staatsanwalt vielleicht nicht so viel. Wir reden mal mit ihm… “ und diversen anderen Spielarten. Verwaltungsroutine. Und trotzdem ist das den Außenstehenden weitestgehend unbekannt und auch kaum vermittelbar. Jetzt ist scheinbar scheinbar rückhaltlose Aufklärung angesagt. Etwa wie beim NSU-Komplex 1.0? Oder bei Anis Amri? 

Seit vier Monaten wurde in Frankfurt ermittelt beziehungsweise so getan, als würde ermittelt. Plötzlich geriet der Sachverhalt aber außer die eigene  (Behörden- )Kontrolle und das LKA Hessen wurde eingeschaltet. Das ist nicht viel besser, aber sieht nach außen besser aus. 

Das jetzt zu lesende kreidegefressene Salbadeier der Polizeigewerkschafter in Hessen wie in NRW, das auch durch die Bank gelobt wurde, ist ebenfalls nur noch haarsträubend. Die Landesvorstände wussten im Wesentlichen was los ist. Sie wissen es auch jetzt und halten den Schnabel. Das war immer so und wird auch nicht anders werden, solange die Innenministerien nicht zu einer anderen Haltung gelangen und die Justiz diese elendige Rücksicht auf die Polizeien beendet.

Die Dienstaufsicht funktioniert nicht. Die Staatsanwaltschaften halten ihre schützenden Hände über „ihre“ Hilfsbeamten. Wenn etwas vor Gericht gelangt, gibt´s – wenn keine Freisprüche oder Einstellungen – den Polizeibonus in unterschiedlicher Methodik.
Die Süddeutsche Zeitung hat heute wieder auf ihrer Seite 3 beispielhaft angerissen was in NRW los ist.

Auch das sind keine Einzelfälle. Es ist überall so mit der Polizeigewalt, also unrechtmäßig ausgeübter Gewalt durch PolizeibeamtInnen und es ist überall – nicht durchgehend – so mit der rechtsextremistischen Haltung innerhalb unserer Polizeien.

Die entscheidende Stellschraube für eine überfällige Kurskorrektur sind die Innenminister. Entscheidend bleibt, ob endlich der politische Wille reift, unabhängige Beschwerdestellen, Kennzeichnungen für PolizeibeamtInnen etc. einzurichten.

Und vielleicht vielleicht doch irgendwann einmal vorangetrieben durch die Medien? Zeit dafür wäre es.

Wir stehen für Auskünfte zur Verfügung. 

Mit der Bitte um Veröffentlichung

Thomas Wüppesahl, Bundessprecher